ANMERKUNGEN  ÜBER  JAMAICA

 ... von links nach rechts:

Nick Suhl, Nicole Faust, Bar-Mann Kirk, Ute Müller, Frank Eckenbach und Simone Wirth

 

 

Entdecken Sie Jamaika (Quelle: "Marco Polo")

Auf Harry Belafontes »Island In The Sun« können Sie Ihren Traumurlaub geniessen  

Eine Straßengabelung irgendwo hinter Port Maria an der Nordküste - wieder einmal weist kein Schild den Weg. Eine Gruppe Jamaikaner schaut dem Auto, Typ Leihwagen, neugierig hinterher und einer schreit: »Hey Joe, wrong way!« Wieso Joe? Und woher will der denn wissen, daß wir auf dem falschen Weg sind?
Der Vorfall ist vergessen, bis die schmale Straße noch schmaler, der Asphalt löchriger; die Hütten noch bescheidener werden. Als das nächste Dorf seinen Namen preisgibt - meist steht er an der Schule -, muß dem Mann Abbitte geleistet werden. Wir sind tatsächlich auf eine Nebenstrecke geraten. Bei der nächsten Warnung vor einem Umweg vergewissere ich mich nicht erst nach Kilometern, daß ich auf dem Holzweg bin.
Die meisten Jamaikaner sind Fremden gegenüber aufgeschlossen und hilfsbereit. Fortwährend erkundigen sie sich, ob dir die Insel gefällt und ob du wiederkommst: Sie sind stolz auf ihr Land. Besucher sind als Gäste willkommen, solange sie sich nicht wie die weißen Herren aufführen, denn die hatten die Jamaikaner lange genug. Der Einfachheit halber werden Touristen manchmal mit Joe oder Jane angesprochen. Man braucht sieh also nicht zu wundern, wenn's quer über die Straße schallt: »Hey Jane!«
Über drei Jahrhunderte lang, vom Beginn des 16. bis ins 19. hinein, verschleppten zuerst die spanischen und dann die britischen Kolonialherren Afrikaner aus ihrer angestammten Heimat nach Jamaika und ließen sie als Sklaven auf den Plantagen arbeiten. Rund 75 Prozent der heutigen Einwohner sind afrikanischer Abstammung. Ihre Hautfarbe ist eindeutig schwarz, denn eine Vermischung der Rassen hat hier viel weniger stattgefunden als zum Beispiel in der Dominikanischen Republik oder auf Kuba. 
Bis Jamaika 1962 die Unabhängigkeit erlangte, mußte ein langer Weg mit oft blutigen Aufständen zurückgelegt werden. Die entscheidende Wende hin zu einem nationalen, schwarzen Bewusstsein leitete die Zurück-nach-Afrika-Bewegung in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts ein, die von den Rastafaris auf gegriffen wurde. Rastafarianismus ist zugleich eine religiöse und politische Bewegung. Ihr »Sprachrohr« ist die von ihren Anhängern kreierte Reggae-Musik. In den 70er Jahren gelang es ihrem berühmtesten Vertreter; Bob Marley, Jamaika weltweit ins Rampenlicht zu rücken.
Wummernde Bässe, Trommeln im Herzschlag-Rhythmus - diese Musik geht unmittelbar ins Blut und in die Beine. Peter Tosh, der mit Bob Marley und Bunny Wailer zu den Stars der ersten Stunde gehörte, sagte treffend: »Reggae ist nichts, was du hören kannst, du kannst es nur fühlen.« Entstanden ist diese Musik in den Ghettos von Kingston, wo jeder um sein Überleben  kämpft  auch heute noch. Sie wurde zur Stimme der ärmsten Jamaikaner.
Bevor Reggae seinen Siegeszug um die Welt antrat, war er im eigenen Land umstritten. Wurden doch in den Texten soziale Missstände angeprangert, deren Beseitigung gefordert und die Besinnung auf die afrikanischen  »roots«  (Wurzeln) propagiert. Die Rastafaris paßten mit ihren Rastalocken und der kultischen Verehrung von Marihuana so gar nicht zur westlichen Orientierung der Oberschicht, und sie wurden deshalb  zu  sozialen Außenseitern abgestempelt. Bis zur Gründung des unabhängigen Musiksenders Irie FM 1972 spielten Radiosender Reggae-Platten  nur nachts.
Nach dem Tod von Bob Marley entwickelte sich der Reggae ständig weiter; er bekam im Zeitalter computergesteuerter Musik immer neue Gesichtet Und noch heute träumen viele junge Leute davon, als Musiker reich zu werden. Doch es wäre falsch anzunehmen, auf Jamaika wurde pausenlos Reggae gespielt. Amerikanische  und  internationale Popmusik erfreuen sich ausserordentlicher Beliebtheit und beherrschen weitgehend die Musikszene.  Wer  ein  Reggae-Konzert besuchen will, muß die Ohren offenhalten und Erkundigungen einholen, zum Beispiel beim Barkeeper im Hotel oder im Schallplattenladen.
Berühmt ist nicht nur Jamaikas Reggae, sondern auch sein Rum, einst zufälliges Abfallprodukt bei der Herstellung von Zucker aus Zuckerrohr. Mit Fruchtsaft als Planter's Punch gemixt, tritt er als süßer Verführer auf Als weißer Overproof  straight (pur) genossen, fordert er Respekt. Vordergründig scheint er milde, doch seine hochprozentige Wirkung ist nicht zu unterschätzen. Ähnlich läßt sich Jamaika charakterisieren. Zuckersüß und einschmeichelnd besingt Harry Belafonte es als »Island In The Sun«. Hier; am 18. Breitengrad, steht die Sonne in der Tat das ganze Jahr über beinahe senkrecht und strahlt aus meist blauem Himmel. Federleichte weiße Wolken ziehen vorüber; dicke Wolkenberge laden ihre nasse Fracht geschwind ab und überlassen es der Sonne, die feuchte Erde ebenso schnell dampfend zu trocknen. Die Lufttemperatur liegt durchschnittlich bei 30 Grad Celsius, das Wasser ist mit 26 bis 29 Grad Celsius nur unwesentlich kälter Das ganze Jahr über herrscht ein tropisches Klima, Sommer und Winter unterscheiden sich nur geringfügig voneinander Nachts kühlt es zwar etwas ab, doch es bleibt angenehm warm. Sanfte Winde lindern allzu große Schwüle, spielen raschelnd in den Kronen der Palmen. Dabei gibt es auch regionale Unterschiede: Im Süden fallen viel weniger Niederschläge als im Norden, die Vegetation ist spärlicher; die Sonne brennt heißer; und mannshohe Kakteen sind keine Seltenheit.
Das Meer ist weiter draußen tiefblau und trägt weiße Häubchen, an der Küste, in geschützten Buchten, ist es spiegelglatt und schillert in vielen Nuancen, mal hellblau, mal türkis. Transparent wie Zellophan erlaubt es den Blick auf eine karibisch-bunte Unterwasserwelt. Fische in allen Regenbogenfarben  umschwärmen vielfältige Korallenformationen und bewachsene Felsen. Heller Sand polstert Teile des Ufers, daneben trotzen schroffe Klippen dem Ansturm der Fluten. Von August bis Oktober können Hurrikane über Jamaika hinwegfegen  ein Wermutstropfen im süßen Tropencocktail. Verheerenden Schaden vor allem im Osten der Insel richtete der Wirbelsturm »Gilbert« im September 1988 an. Die Landwirtschaft hat sich gerade erst einigermaßen von den Folgen erholt.
»Strong« und eher wild als lieblich-idyllisch ist dagegen die Landschaft im Inneren. Den Nordwesten  beherrscht das Cockpit Country, eine zerklüftete und schwer zugängliche Karstlandschaft, in die sich die Maroons, freigelassene und entflohene Sklaven, zurückzogen, um ein neues Leben aufzubauen. Im Osten erheben sich die Blue Mountains mit dem Blue Mountain Peak (2256 m). Beide Regionen sind dünn besiedelt, der Anbau von Früchten und Gemüse mühsam. Nur Kaffeepflanzen gedeihen gut in den Hochlage der Blue Mountains. Der besondere Reiz dieser Berge liegt in ihrer ursprünglichen Wildheit. Bis hoch hinauf wachsen hier noch Teile des an Edelhölzern reichen Waldes, der einst die ganze Insel bedeckte. Von einer zur anderen Sekunde entzieht Her oben die Natur dem Betrachter die gerade noch gewährten Ausblicke. Weder Himmel noch Erde scheinen zu existieren, nur die kühle Feuchtigkeit des alles umwabernden Nebels ist spürbar.
Während das Landesinnere oft unerschlossen und unberührt erscheint, zeigen Jamaikas Ufer ein anderes Gesicht. An der Nordküste, in den Orten Montego Bay, Runaway Bay und Ocho Rios, stehen die meisten Hotels. Die Sandstrände strecken sich in mehr  oder  weniger  großen Buchten aus; viele von ihnen sind den Gästen der dort angesiedelten Hotels vorbehalten, wieder andere öffentliche Strandbäder. Großen Zuspruchs erfreut sich auch Negril an der Westküste, sein elf km langer Strand ist der längste der Insel. Den Süden hingegen charakterisieren abgelegene  Fischerorte,  unberührte Strände und eine junge touristische Infrastruktur. Hier fließen die Flüsse träge durch Mangrovendickicht, sein hohes Schilf bietet Lebensraum für Vögel und unter Schutz stehende Krokodile und Seekühe.
Die Ostküste bietet die meiste Feuchtigkeit, die üppigste Vegetation und die verschwiegensten Strände auf der ganzen Insel. Port Antonio ist ihr Herz. Einst bedeutender Bananenhafen, dann Tropenidyll für Hollywoodstars, steigen heute in den Pensionen und den wenigen größeren Hotels vor allem Individualtouristen ab.
Im Osten der Insel, an der Südküste, hegt die pulsierende Hauptstadt Kingston, mit den Blue Mountains im Rücken. Sie ist auch kulturelles Zentrum des Inselstaates.  Hier  entstanden kompromißlose Songs wie Bob Marleys »1 Shot The Sheriff«, hier werden neue Musiktrends gebo-ren, und an Malerei, Bildhauerei, Theater und Tanz nimmt die Öffentlichkeit regen Anteil.
Die Stadt scheint auf den ersten Blick nicht mit Touristen gerechnet zu haben: Die Sehenswürdigkeiten und Museen liegen weit verstreut. Die Altstadt, die schachbrettartig angelegte downtown mit ihren wenigen architektonischen Überbleibseln aus kolonialer Zeit, kann ihre Nähe zu den Ghettos nicht verbergen. Die Neustadt, uptown ist in erster Linie eine Ansammlung gesichtsloser Bürohäuser und Regierungsgebäude ohne erkennbare städtebauliche  Ordnung.  Die Energie dieser Metropole kann man nicht auf einer Stadtrundfahrt spüren, bei einem Theater oder Konzertbesuch schon eher Erst während einer durchtanzten Nacht in einem Musikclub, am Sonntag am Strand von Hellshire, auf der Insel Lime Key oder bei einer Portion Fisch bei Glorias in Port Royal lernt man, die angenehmen Seiten der Stadt zu schätzen.
Überhaupt sind Sonntage auf Jamaika heiter und leicht, jeder ein kleiner Festtag. Die Arbeit ruht, nach dem Kirchgang besucht man Familie und Freunde, oder man unternimmt zusammen einen Ausflug. Die Jamaikaner tragen ihre besten Kleider; die Frisur muß tipptopp sitzen. Schon Tage vorher werden die widerspenstigen  Locken  mit Wicklern eisern in Form gezwungen.  Selbst die Jugend gönnt sich einen Ruhetag, denn die Freitag- und Samstagabende dauern häufig bis zum Morgengrauen.
Auch während der Woche lassen Jamaikaner sich nicht vom Alltag  tyrannisieren.   »Soon come« - diese beiden Worte drücken die Lebenseinstellung aus. Sie beantworten die Frage nach den fehlenden Eiern auf dem Frühstücksbüffet und trösten den Wartenden gleichzeitig. Wer kann bei einem lächelnd präsentierten »soon come« schon ernsthaft ungehalten werden? Aus jamaikanischer Sicht wäre eine solche Reaktion auf jeden Fall unangebracht.
Jamaika verfügt über eine ganze Reihe sehr luxuriöser Hotelanlagen. Hinter hohen Mauern erwarten den Gast tropische Gärten, private Strände, ein umfangreiches Sportangebot, zum Teil sogar eine eigene Villa, exzellenter Service und, und, und -zuckersüß diese Art von Urlaubscocktail. Die Welt draußen vor den Toren der Touristenresorts hat härtere Spielregeln. Sie ist zum Teil sehr ärmlich und der Kontrast zu den gestylten und properen  Hotels  manchmal schockierend. Manche Touristen trauen sieh nicht, ihr Feriendomizil zu verlassen. Weil sie draußen angesprochen werden? Weil ihnen Dinge zum Kauf angeboten werden? Ist es denn so verwunderlich oder anstossend, daß die Menschen rund um  die Hotels auch etwas verdienen wollen? Für viele ist der Handel oft die einzige Chance, überhaupt zu einem kleinen Verdienst zu kommen.
Mit Respekt, Freundlichkeit und nicht übermäßig zur Schau gestelltem Reichtum geben solche Ausflüge gerade dem Urlaub auf Jamaika die Würze. Und es wäre zu schade, Jamaika zu verlassen, ohne wenigstens einmal eine lokale Spezialität in einer kleinen Gaststätte oder scharfes Jerk chicken frisch aus einer Blechtrommel probiert zu haben. Wer nicht in den Hotelanlagen, sondern in kleineren Häusern wohnt, hat solche »Schwellenangst« erst gar nicht, denn diese Feriendomizile befinden sich fast immer innerhalb der Ortschaften, wo man eher die Gelegenheit hat, mit jamaikanischer Lebensart vertraut zu werden.
Meist liegen die Touristenzentren in der Nähe der interessanten Ausflugsziele. Einige der ehemaligen Herrenhäuser der Plantagenbesitzer; Great Houses genannt, wurden renoviert und zu Museen gemacht. In ihnen lernt man auf anschauliche Weise etwas über die Geschichte des Landes. Die Reichtümer der tropischen Natur werden auf Musterplantagen und in botanischen Gärten erklärt. Oder man mietet einen Wagen und fährt hinauf in die Hügel. Streift kleine Dörfer mit phantasievoll bemalten Hütten. Sieht, wie Frauen die Wäsche im Fluß waschen, wie sie selbst sperrige Lasten grazil und sicher auf dem Kopf transportieren. Hört die Ziegen meckern, wenn sie ihr Leben mit einem Sprung in den Graben retten, weil wieder einmal ein randvoll mit Fahrgästen gefüllter Kleintransporter um die Kurven rast und mit artistischem Geschick den Schlaglöchern ausweicht.
In jedem größeren Ort gibt es farbenprächtige Märkte. Zuckerrohr wird  portionsweise in Stücke geschlagen und als süße Schleckerei,  Kokosnüsse als Durstlöscher  verkauft.  Landfrauen bieten Yams, Brotfrucht, exotisches Gemüse wie Ackee, die Nationaifrucht, und Obst an. Mit Kleidern und Nützlichem wird ebenfalls gehandelt. Besonders lebhaft geht es am Wochenende zu.
Auf keinen Fall verpassen sollte man ein erfrischendes Bad in einem Fluß oder eine Dusche unter einem Wasserfall. Die populärsten unter den zahlreichen Fällen Jamaikas sind die Dunns River Falls an der Nordküste nahe Ocho Rios. Sie können bequem erklommen werden. An Winnifred's Beach, außerhalb von Port Antonio, freut sich die kleine Rasta-Gemeinde über Besuch. Nach einem Bad im Meer kann man bei ihnen Kleinigkeiten essen und kühle Getränke kaufen. Schnell entwickelt sich ein Gespräch. Euphorisch erzählen sie von Jah, ihrem Gott, der in einem selbst wohnt und der ihnen den Glauben gibt, den Tag zu genießen, ohne sich um die Zukunft zu sorgen. Die Lektion endet mit einem bekräftigenden »jeh maan! I-rie!« was meint »so ist es, und alles ist in Ordnung«. Überall auf der Insel begegnet man Rastafaris, auch wenn die Jamaikaner selbst sagen, ihre Bewegung würde an Bedeutung verlieren. Sie sind gewissermaßen Lebenskünstler; die von der Hand in den Mund leben und dabei selbstbewußt ihre Anschauungen vertreten. Überhaupt sind die Jamaikaner ein selbstbewußtes Volk, stolz auf ihre Insel, ihre kämpferische Vergangenheit und voller Optimismus für die Zukunft, in der der Tourismus weiterhin eine große Rolle spielen wird - das steht fest.

 
 

Quelle: Marco Polo Reiseführer

Fotos:

Frank Eckenbach,